Herbstmüdigkeit

Beißende Farben kämpfen um die Vorherrschaft; pinker Himmel hinter rostroten Bäumen. Die Sonne bäumt sich ein letztes Mal auf bevor die Welt ins Dunkle fällt, erschöpft vom Tag, ermattet von diesem Übergang, dem anstrengendsten des Jahres. Alles ist in schwarz getaucht, so schnell, und die Läden sind noch offen, es mag nicht recht zusammen passen. Fühlt sich fremd an. Laub torkelt von den Bäumen und Nebel verzerrt das Licht der Ampeln, grüne und rote Schlieren hängen in der Luft, im Nichts. Die Nächte sind zu lang geworden um sie durchzutanzen. Der Wein schmeckt nicht wie an Sommerabenden und der Tabak kratzt; vor der Geisterstunde kommt der Schlaf jetzt unerbittlich und es hilft nicht, sich zu wehren. Wer nicht mehr kann, der lässt jetzt los, atmet ein letztes Mal aus, schwarze Prozessionen zwischen Grabsteinen, knisterndes Laub unter den Füßen.

herbstbäume

Und die anderen gewöhnen sich, sortieren sich neu. Wachen auf aus einem hitzigen, fiebrigen Traum der Sommer hieß, sehen die Realität mit müden Augen, die Tage, die endlos waren und jetzt ein paar kostbare Stunden dauern, Stunden, die genutzt werden müssen: Nach dem Schlaf kommt die Versöhnung mit dem Morgen, einem frühen Morgen, an dem Lieferwagen vor Geschäften halten und Cafébedienungen Stühle rausstellen; Stühle mit Decken in der Hoffnung auf Herbstwärme. Nebel, der über Felder kriecht wie ein vergessenes Gespenst der Nacht, sich noch widerspenstig am Olympiaturm festklammert. Menschen, die hasten, eilen, noch im Dunkeln das Licht im Büro angeknipst haben, statt jede Sekunde in der Sonne auszudehnen so gut es geht, statt zu genießen. Es ist Zeit, wieder etwas zu schaffen.

herbstnacht

Die Wolken eine dicht gesteppte Decke deren Nähte langsam reißen, den Tag freigeben; einen klaren Tag, der nach kratzenden Bleistiften klingt und Neues verspricht, wie der Herbst jahrelang Neues brachte, neue Klassen, neue Kurse, neue Chancen. Es riecht nach Moder und nach Anfang, nach Tagen, die früh beginnen und viel bringen. Die Bäume leuchten in einen blauen Himmel hinein und aus diesen Tagen, die so kurz sind wie die Zeit im Laufe des Lebens schneller verrinnt, aus denen machen wir etwas. Wissend, dass sie wieder länger werden, immer wieder; aber unsere Zeit, die wird es nicht.

Olympiaturm in München an einem Herbstmorgen

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