Das Gras ist schon gelb, ausgedörrt von der Sonne. Aber das macht sie nur hinreißender, betont die smaragdgrüne Farbe, die ihr Strom jetzt hat. Von drüben auf der Insel, wo sich hinter Büschen ein verschämtes Grillwölkchen in die Luft schraubt, schallt elektronische Musik ans Ufer. Ein Schlauchboot fährt vorbei, eine Mutter hält ihr glucksendes Baby im Schwimmreifen fest. Drüben haben sie ein Sprungbrett gebastelt, von dem köpfen jetzt gestählte Typen publikumswirksam ins Wasser. Pflatsch. Pflatsch.
Die Isar ist das Herz des Münchensommers. Es schlägt im Takt der Arschbomben, die in den Strom plumpsen, im Takt der Augustinerflaschen, die aneinanderknallen. Die Isar ist die Hauptschlagader, hält die Stadt am Leben wenn die Sonne runterbrennt, kühlt Füße, Hitzköpfe und Biertragerl.
Andere Städte mögen imposantere Flüsse haben. Flüsse, auf denen Schiffe fahren statt Schlauchboote. Aber zum Millionendorf würde das nicht passen. Die Isar, verwunschen verwachsen, sich elegant windend, ist seine natürliche Ergänzung, wie die Schaumkrone auf dem Bier. In München gibt die Isar den Takt des Sommers an, den Takt dieses endlosen Sommertraums. Tage, gemacht aus Kinderkreischen, Ventilatoren, klebrigen Eisfingern, Schweißperlen auf der Stirn, Vespafahrern neben Radfahrern mit Surfbrett unterm Arm.
Sommer in München ist, wenn es warm genug ist, in der Isar zu baden. Hochsommer, wenn es nachts noch warm genug ist, in der Isar zu baden.
Die Isar ist ein Mikrokosmos der Stadt. Hier hat jeder seinen Platz. Von der Reichenbachbrücke strömt Hipstermünchen herunter, im und um den Praterstrand sieht sich das P1-Publikum. Hinter der Brudermühl versammeln sich die, die mit beidem nichts zu tun haben wollen und am Flaucher feiert die ganze Welt; die afrikanische Party neben Fangen spielenden vietnamesischen Kids, die türkische Großfamilie picknickt unter Schirmen. Die Kubaner grillen ein Spanferkel, die Punks trinken im Schatten Bier und angeschickerte Halbstarke schubsen sich gegenseitig ins Wasser, kreischend.
Fahrräder liegen kilometerweit in der Wiese, kreuz und quer hinter bunten Handtüchern; ein Fleckerlteppich, auf dem sich Trauben von Menschen tummeln. Die Sonne spiegelt sich in hundert Sonnenbrillen und malt weißrote Muster auf die, die nicht rechtzeitig nachgecremt haben.
Alle sind halbnackt und frei und ein bisschen gleicher als sonst in ihren nassen Bikinis und Badehosen. Die Isar macht das Leben leicht, was kostet die Welt, die Isar kostet nichts. Niemand braucht Geld, um Teil der größten Sommergaudi zu sein. Das Wasser fließt und wir lassen uns treiben; Blicke und Worte und Lachen und Berührungen vibrieren in der aufgeheizten Luft. Die Isar, sie teilt München nicht nur. Sie eint auch.
Nach Feierabend aufs Radl zu steigen, Fahrtwind im Haar, sich in die kühlen Fluten zu stürzen und den Stress des Tages abzuwaschen, der keinen Platz hier hat. Sich ins Gras fallen zu lassen. Einem Gitarrespieler zuhören und einen Flirt beobachten im goldenen Licht, bevor die Sonne hinter den Bäumen verschwindet und die Wolken rosa werden und sich das klare Wasser geheimnisvoll verdunkelt. So soll es immer sein, so und nicht anders. Die Menschen werden leiser, Wein schwappt in Plastikbechern, und unter den Weidenzweigen könnten jetzt Wasserelfen hervorklettern und im Mondlicht tanzen, mitten auf der Isar.
Die Baumspitzen sind schon gelb geworden wie das ausgedörrte Gras, wir sehen sie vom Wasser aus und werden wehmütig: Lange wird es nicht mehr dauern, dann kehrt Ruhe ein. Dann spazieren wir am Isarufer entlang, im Farbenspiel des Herbstes; die Schlauchboote im Keller eingemottet. Aber noch hören wir den Takt des Sommers, die klatschenden Arschbomben. Platsch. Platsch.