Es gibt Menschen die Langeweile verurteilen, weil Langeweile ja nur den befällt, der sich nicht selbst zu beschäftigen weiß; aber das stimmt nicht, zumindest nicht immer. Es gibt verschiedene Formen von Langeweile. Mir ist nie langweilig weil mir nichts einfallen würde, es gibt immer etwas zu tun, und wenn niemand mit mag dann eben alleine, und wenn nicht raus dann eben das Bett und ein Buch.
Die Langeweile, die mich befällt, ist mehr eine erdrückende Eintönigkeit. Ein ermattendes Gefühl gefangen zu sein in einem Alltag aus weißem Himmel und nassen Straßen, aus den immer gleichen Fenstern gegenüber, dem tropfenden Wasserhahn den niemand repariert und den immer gleich vielen Schritten zur U-Bahnstation vorbei an den immer gleichen Cafés; ein Alltag aus unzähmbarem Chaos in vier engen Wänden die stumm nach Minimalismus schreien, vier Wände und eine Tür mit Türschlitz, durch den Briefe voll unverständlicher Wörter fallen, Regelversteuerung, Versicherungsbedingung und Drittverwertungsrechte, draußen Busanzeigen mit Verspätung wegen Fahrtwegstörung und dazu die Einfallslosigkeit, welcher Song aus der Tristesse retten könnte.
Es ist diese Art der Langeweile, die einen befällt in zu langen Wintern oder in diesem schwammigen Loch zwischen leichten Sommertagen und Herbstbetriebsamkeit, diese Langeweile, die einen lethargisch an den Schreibtischstuhl fesselt während sich die Decke herabsenkt. Und diese Alltagslangeweile hat einen beharrlichen Begleiter; Fernweh.
Ich bewundere Menschen, die ihre Wochenenden weit im Voraus verplanen und den Jahresurlaub seit einem Jahr gebucht haben; diese Menschen, die sich damit kleine Geschenke in ihren Kalender packen, auf deren Auspacken sie sich vertrösten können, wenn die Decke bedrohlich näher kommt. Diese Menschen verpassen auch nie Konzerte ihrer Lieblingsbands und feiern Silvester auf einer Hütte, weil sie die schon lange gebucht haben. Ich bringe so etwas nicht fertig, denn wer weiß schon was morgen ist, ich nicht, und deswegen kann ich auch nichts planen, wobei ich natürlich wüsste was morgen ist wenn ich etwas geplant hätte. Aber zu viele Pläne spannen ein enges Korsett, lassen zu wenig Luft für Überraschungen, Überraschungen sind das Gegenteil von Langeweile, und ich bin anfällig für Langeweile.
Was dazu führt, dass mich die Langeweile immer dann überfällt, wenn gerade keine Überraschung in Sicht ist, nicht die kleinste. Also scanne ich alle verfügbaren Städte ab, in denen ich Leute besuchen könnte, aber Überraschung, mit zwei Tagen Vorlauf findet sich kein bezahlbarer Flug nach Lissabon und für 18 Stunden Fernbus bis Krakau ist die Verzweiflung doch nicht groß genug, was die Langeweile noch quälender macht, weil ich mir vorstelle wie lustig es wäre, in zwei Tagen über hügelige Kopfsteinpflaster zu laufen statt über die nassen Straßen, den näher rückenden Wänden zu entfliehen und nur für den Moment zu leben. So lustig, so unerreichbar.
Manchmal klappt das Spontane und dann sind es die besten aller Abenteuer, aber ehrlicherweise eben oft nicht, es bräuchte ein wenig Organisationsgeschick statt ach so spontaner Spontanität, die manchmal auch nur eine Ausrede ist um sich nicht festlegen zu müssen damit das Leben unvorhersehbar bleibt und spannend; und die absolute Planlosigkeit artet ins ungewollte Nichtstun aus, während die anderen Pläne leben.
So mischen sich Vorwürfe und Fernweh zu einem verdrießlichen Brei, bis dann doch ein kleines Geschenk etwas später in den Kalender gepackt wird, schöne Pläne aus Langeweile gestrickt, und Menschen mit mehr Organisationsgeschick, die man als Spontanlebender unbedingt kennen sollte, füllen die Zeit; der farblose Himmel wird elegant schwarz und ich gehe raus, lebe eine Nacht für den Moment, ohne Decken und Wände und Steuern und Störungen und egal wo; Unentdecktes und Mitreißendes und Berührendes wartet überall, man muss dafür nur rausgehen, suchen. Spontan.