Neapel ist eine wundervolle Stadt: Ein Wirrwarr aus schiefen Kopfsteinpflastergassen, tiefe Schluchten aus maroden Gebäuden voll leuchtender Graffiti, darüber spannen sich die Wäscheleinen, und irgendwo oben steht eine alte Frau im Kittel auf dem Balkon und schaut.
Schaut auf das Durcheinander da unten, auf die Touristen, die die aufwendig gebauten Krippen fotografieren, auf die mit Sfogliatelle und Cornetti und Pizza Fritta gefüllten Vitrinen, die vor den Läden auf die Straße stehen. Auf das Gedränge vor dem Kellner, der die Reservierungen fürs Sorbillo annimmt, seinen Klemmblock in der Hand; auf die Kartenspieler, die wie letzten Abend vor der Bar mit Maradonnas Schrein sitzen, bis sie um acht schließt, dann ist Messe und die Gassen werden leerer, nur die Schlange vor Sorbillo bleibt. Und später kommen sie wieder heraus, sitzen in den Restaurants, vor der Enoteca steht eine Traube Menschen, Wein aus dem Plastikbecher für zwei Euro, dazu Buffet, manchmal mit Pizza vom Lokal nebenan.
Und ein paar Häuser weiter in dem Buchladen wird aufgelegt, Reggaeton und Elektro, und die Leute trinken davor und drinnen, rauchen davor und drinnen, und in den Geruch von Frittiertem und alten Büchern mischt sich süßlicher Rauch. Weiter weg dröhnen Seifenopern von flimmernden Fernsehgeräten in die Gassen, dunkle Schluchten in denen neonfarbene Ikonen leuchten, kunstvolle Schreine, Bilder von Verstorbenen darin. Es ist ruhiger geworden, irgendwann packt auch der Maronimann neben der Enoteca seinen Sohn auf die Vespa und fährt heim, der Halbstarke hat seinen Elektroroller wieder abgestellt, den niemand kommen hört, und der Dobermann hat so an der Leine gezogen, dass auch er heimspaziert wurde; in dem Buchladen gibt es auch Sambuca aus Plastikbechern, kleineren Plastikbechern.
Die Frau auf dem Balkon, sie hat geschaut, sie hat gewartet, auf ihren Neffen vielleicht, auf ein Enkelkind; denn hier kennt jeder jeden und alle sind verbandelt, der Sohn vom Maronimann wetzt von Lokal zu Lokal, und von einem anderen Balkon wird ein Eimer heruntergelassen, „Maria“, plärrt die Alte vom Balkon, und Maria huscht aus ihrem Laden und wirft ein Paket Pasta in den Eimer. Sie kennen sich und sie helfen sich und man schämt sich ein bisschen und fragt sich, warum wir die Alten in Heime pferchen, nie Zeit füreinander haben und allein auf einen Bildschirm starren oder zwei. Wir haben mehr aber halt auch nicht, hier sind die Arme ausgebreitet statt die Ellenbogen ausgefahren, vor dem Vesuv schimmert die Stadt jetzt golden und Boote schaukeln im Meer; Neapel ist eine wundervolle Stadt.